„Sag etwas, was sich von selbst versteht, zum ersten Mal, und du bist unsterblich“, sagt Marie von Ebner-Eschenbach.
Meiner Meinung nach hat Kant so etwas Selbstverständliches ausgesprochen, als er darauf verwies, dass wir Menschen nichts anderes erkennen können, als unsere Erkenntnisfähigkeit es erlaubt.
Mit den Anschauungsformen Raum und Zeit und mit der Kausalität glaubte er, Teile unserer Erkenntnisfähigkeit aufgedeckt zu haben. Die Relativitätstheorie Einsteins machte mit ihrer Einführung der Raumzeit mit der Auschaulichkeit Schluss. (Auch wenn wir beide weiterhin getrennt wahrnehmen.) Die Quantenmechanik beendete die Vorstellung einer allgemein geltenden Kausalität. (Trotz Einsteins energischem Widerspruch: „Gott würfelt nicht!“)
Alle Versuche, über Kant hinauszukommen, haben zwar die Beschränktheit seines philosophischen Konzepts erweisen können, nicht aber die Richtigkeit seiner „banalen“ These. Ob Konstruktivismus, Sprachphilosophie oder allgemeiner Relativismus: alle stellen nur einen Versuch dar, zu beschreiben, worin unsere Erkenntnisfähigkeit bestehe, nicht aber eine Widerlegung seiner Entdeckung.
Wenn er damit etwas Grundlegendes erkannt hat, dann bezieht sich alle unsere Erkenntnis nur auf das von Menschen Erkennbare. (Er nennt es „Ding für uns“).
Nun kann man sich mit dieser Erkenntnis zufrieden geben und das Nichterkennbare außen vor lassen und auf die Bezeichnung als „Ding an sich“ verzichten. Merkwürdig ist freilich die Erfahrung, dass immer mehr erkennbar wird, als man ursprünglich für möglich hielt. So ist mit Freud und Hirnforschung jetzt auch das Ich in seinem Kontext – nicht in dem, wodurch es bestimmt wird, denn Kausalität ist keine allgemeingültige Kategorie mehr – sehr viel vielgestaltiger geworden, als es noch im „Ich denke“ von Descartes und im „Das Ich setzt sich selbst“ von Fichte erschien.
Insofern hat es wohl Sinn, dass wir uns das Vorläufige jeder menschlichen Erkenntnis vor Augen halten (denn menschliche Erkenntnisfähigkeit treibt die Erkenntnis ja ständig voran). Ob man dafür den wenig modischen Ausdruck „Ding an sich“ verwendet oder nicht, hat wenig Bedeutung.
Interessant ist aber doch, was diese Vorstellung, dass menschliche Wirklichkeit immer nur eine vorläufige und (seit dem Siegeszug der modernen Naturwissenschaften) eine in ungezählte Wissenschaftswirklichkeiten auseinanderfallende ist, für den Begriff der Wahrheit bewirkt.
Wenn Wirklichkeit das ist, was Menschen aus dem Nicht-Ich mit ihrer Erkenntnisfähigkeit machen, dann ist Wahrheit im Unterschied zur Wirklichkeit nicht Nicht-Ich, sondern eine Konstruktion des Ichs. Mit Schillers Worten:
„die Wahrheit ist nichts, was so wie die Wirklichkeit oder das sinnliche Dasein der Dinge von außen empfangen werden kann; sie ist etwas, das die Denkkraft selbsttätig und in ihrer Freiheit hervorbringt.“
Damit diese Wahrheiten nicht dazu führen, dass man sich gegenseitig totschlägt, empfiehlt es sich freilich, sich auf inter-subjektive Wahrheiten zu verständigen.
Von den Menschenrechten bis zur Stammzellenforschung ist das freilich nicht etwas, was der Menschheit leicht fiele. Umso mehr Dank gebührt denen, die dazu beitragen, dass es zu Annäherungen kommt.