Aus meiner Sicht stellt diese Aufsatzsammlung von 2016 genau das dar, was im titelgebenden Aufsatz von 2005 als das Wesen der Philosophie der letzten rund 200 Jahre bezeichnet wird: „die am gründlichsten organisierte Flucht aus der Zeit“ (S.105).
Sloterdijk präsentiert seine umfassende Kenntnis von Philosophie und Literatur in einer spielerischen Hypothesenbildung der vergänglichsten Form, für die er in seiner Trilogie Sphären die treffenden Termini „Blasen, Globen und Schäume“ gefunden hat.
Bisher ist für mich der interessanteste Literaturhinweis der auf Baltasar Gracián (S.339), der in seinem Orakel der Weltklugheit im 149. Aphorismus als wichtige Fähigkeit formuliert: „Das Schlimme Andern aufzubürden verstehn“, also die Sündenbocktechnik. Aktuell vorgeführt hat sie der VW-Konzern beim Dieselskandal, indem er gegen die mittlere Ebene Prozesse mit Milliardenforderungen führt, die oberste Entscheidungsebene (z.B. Winterkorn) ganz aus der Verantwortung herausnimmt (mehr dazu – im Zusammenhang mit New Work – hier).
So angemessen Sloterdijks Anspielung darauf ist, dass erst der Einsatz fossiler Energie die (zumindest nominelle) Abschaffung der Sklaverei ermöglichte (S.115), so fragwürdig ist die darauf folgende Darstellung, die völlig übergeht, dass es vor der exzessiven Nutzung fossiler Energien selbstverständlich schon Maschinen gab, die mit nachhaltiger Energie arbeiteten. Dass mit dem 18. Jh. „die Stunde geschlagen“ habe „die ‚Ausbeutung des Menschen durch den Menschen‘ zu beenden und statt ihrer die methodische Ausbeutung der Erde durch den Menschen einzuleiten“ (S.115) erweist sich auf S.118 nicht als ungenaue Metapher, sondern als Vorbereitung „philosophischen“ Wortgeklingels, bei dem Motoren als „geköpfte Subjekte“ (S.118) auftreten.
Treffend ist die Beobachtung, dass mit der Ausnutzung der fossilen Energien an die Stelle des Verschwendungsverbots [vgl. die Todsünde gula (Völlerei) sieh Wikipedia] nach und nach die Belebung der Binnennachfrage als zentrale Forderung der Wirtschaftspolitik trat, weil nur sie [Keynes] die Voraussetzung für dauerhaftes Wachstum schaffe. Fragwürdig wird es, wenn Sloterdijk unter Bezug auf Sieferle unterstellt, dass im Agrarzeitalter Arme als „ausgebeutete Produktive“ (S.125) verstanden worden wären, während erst im Zusammenhang mit den fossilen Energien „Gerechtigkeit“ als Begründung für Armenfürsorge getreten sei. Damit wird eine Zentralforderung der großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam wie nicht-existent übergangen.
Abgesehen von der unhistorischen Verwendung des Wortes Faschismus gefällt mir die Überlegung, dass die Freisetzung der fossilen Energien mit der kurzfristigen Verwertung der über Jahrmillionen angesammelten Energien nach einem Durchbruch von „künftigen ’sanften‘ Solartechnologien her im Rückblick als Ausdruckswelt eines massenkulturell globalisierten energetischen Faschismus“ (S.129) betrachtet werden würde.