Archive for the ‘Kirche’ Category

Soziales Bekenntnis der Evangelisch-methodistischen Kirche

15. Oktober 2017

Wir glauben an Gott, den Schöpfer der Welt,
und an Jesus Christus, den Erlöser alles Erschaffenen,
und an den Heiligen Geist,
durch den wir Gottes Gaben erkennen.

Wir bekennen, diese Gaben oft missbraucht zu haben
und bereuen unsere Schuld.

Wir bezeugen,
dass die natürliche Welt Gottes Schöpfungswerk ist.
Wir wollen sie schützen
und verantwortungsvoll nutzen.

Wir nehmen dankbar
die Möglichkeiten menschlicher Gemeinschaft an.

Wir setzen uns ein für das Recht jedes Einzelnen
auf sinnvolle Entfaltung in der Gesellschaft.

Wir stehen ein für das Recht
und die Pflicht aller Menschen,
zum Wohl des Einzelnen
und der Gesellschaft
beizutragen.

Wir stehen ein für die Überwindung
von Ungerechtigkeit und Not.

Wir verpflichten uns zur Mitarbeit
am weltweiten Frieden
und treten ein für Recht und Gerechtigkeit
unter den Nationen.

Wir sind bereit,
mit den Benachteiligten
unsere Lebensmöglichkeiten zu teilen.
Wir sehen darin eine Antwort auf Gottes Liebe.

Wir anerkennen Gottes Wort
als Massstab in allen menschlichen Belangen
jetzt und in der Zukunft.

Wir glauben
an den gegenwärtigen und endgültigen Sieg Gottes.
Wir nehmen seinen Auftrag an,
das Evangelium in unserer Welt zu leben.

Amen.

http://www.emk-kircheundgesellschaft.ch/de/soziales-bekenntnis/das-soziale-bekenntnis.html

Gottesdienst am 15.10.2017 in der ev-methodistischen Erlöserkirche in Karlsruhe

Manfred Walz überträgt das Gleichnis vom Hausbau an der Orgel in dramatische Klänge. Heitere Lieder zum Mitsingen spielt die Band der Gemeinde mit Timo Körner (Keyboard), Günther Mayer (E-Bass), Berthold Wolfinger (Schlagzeug) und Boglárka Mitschele (Gesang).

Nach der Sendung gibt es ein telefonisches Gesprächsangebot der evangelischen Kirche unter der Telefonnummer: 0700 – 14 14 10 10 (6 Cent/Minute. Mobilfunkkosten abweichend).

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Altes und Neues Testament

11. August 2017

Notger Slenczka: Vom Alten Testament und vom Neuen. Beiträge zur Neuvermessung ihres Verhältnisses, 2017

„Im Jahr 2015 kam es zu einer Debatte um den kanonischen Rang des Alten Testaments, der ein Echo auch in der kirchlichen Öffentlichkeit und in der Tagespresse fand. Ausgangspunkt war ein provozierender Aufsatz von Notger Slenczka, in dem er die These vertrat, dass Schleiermacher, Harnack und Bultmann, die eine Herabstufung der kanonischen Bedeutung des Alten Testaments forderten, Recht behalten hätten – freilich aus anderen als den von ihnen vorgetragenen Gründen.

Die kanonische Geltung des Alten Testaments liegt darin begründet, dass die Kirche das Alte Testament als Zeugnis für Jesus Christus versteht. Ist dies eine angesichts des christlich-jüdischen Dialogs haltbare Position? Welche hermeneutischen Grundsätze leiten den Umgang der Kirchen mit dem Alten Testament? Wie ändern sie sich angesichts eines historischen Umgangs mit den Texten?“

Neben großartigen Texten (in den Psalmen, im Buch Hiob, Josephsgeschichte …) stehen im Alten Testament Texte, wo Gott zur Tötung ganzer Stämme aufruft und wo er ganz im Sinne des „Gott mit uns“ eindeutig die Seite des Volkes Israel vertritt und den Sieg im Kampf schenkt oder gar wie bei dem Gang Israels durch das Rote Meer durch sein Eingreifen das gesamte ägyptische Heer ertrinken lässt.

Das sind Texte, die – wenn das Alte Testament als kanonischer Text anerkannt ist – geeignet sind, eine Verdammung des Islam aufgrund einzelner Textstellen zu erschweren, weil man zugleich das gesamte Alte Testament verwerfen müsste. Sie fordern zum historischen und aufgeklärten Verständnis des Alten Testamentes auf. Bei manchen blutrünstigen Passagen fällt es freilich zumindest dem Laien schwer, sie als Zeugnisse des christlichen Gottes zu verstehen. Da fällt es nicht schwer, zu verstehen, weshalb auch christliche Theologen sich von diesen Texten distanziert haben.

Nach dem Versuch, die „jüdische Rasse“ durch einen Völkermord zu vernichten, ist dann wieder betont worden, dass der historische Jesus Jude und nicht Christ war, sein Gott der jüdische Gott und seine heiligen Texte das Alte Testament. Denn das Christentum ist ja nach Aussage des Neuen Testaments erst nach dem Tod Jesu entstanden, auch wenn es schon vorher seine Jüngerschaft und viele Anhänger gab.

Dass jetzt wie in einem Pendelschlag dieses Verständnis als eine zu einseitige Betonung der Kontinuität zwischen Judentum und Christentum kritisiert wird, gehört zum wissenschaftlichen Disput. Die Heftigkeit, mit der er von beiden Seiten geführt wird, zeigt, dass der Völkermord an den Juden noch nicht als historisches Ereignis verstanden wird, das sine ira et studio verstanden werden kann.

Ohne eine genauere Kenntnis der Argumentationen maße ich mir keine Bewertung an, auch wenn ich zugebe, dass vermutlich auch ich den Disput nicht ganz sine ira et studio verfolgen werde. Denn mir scheint in der gegenwärtigen politischen Situation wichtiger, das Gemeinsame der monotheistischen Religionen hervorzuheben, als das Trennende herauszustellen. Insofern scheint mir der verständnisvolle Umgang, den viele katholische Theologen anlässlich des Reformationsjubiläums mit dem Phänomen Luther pflegen, bemerkenswert. Der den Papst verteufelnde und zur Vernichtung der Bauern aufrufende Luther hat ja sehr viel mit den alttestamentlichen Texten gemeinsam, die von der gottgewollten Vernichtung der Feinde reden; freilich hat gerade dieser kämpferische und auch wohl hasserfüllte Luther mit aller Schärfe einen ausgeprägten Antijudaismus, also eine Abwertung des jüdischen Glaubens, vertreten, der von den Nationalsozialisten als Unterstützung ihres Antisemitismus gedeutet wurde.

Wie kann man sich von solchen Hassbotschaften distanzieren, ohne einen Graben zwischen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen aufzureißen? Das scheint mir auch bei diesem Disput über die Rolle des Alten Testaments für das Christentum wichtig zu sein.

Mehr dazu: Der Aufsatz von 2013: DIE KIRCHE UND DAS ALTE TESTAMENT

epd Dokumentation: Notger Slenczka zum Alten Testament (2) 28 Seiten/ 3,40 € …  Slenczka zum Alten Testament (1) 52 Seiten/ 5,10 € … Slenczka zum Alten Testament 52 Seiten / 5,10 € …

 

 

Die Reformation radikalisieren …

9. August 2016

Die Aktualität der Reformation behandelt eine Webseite, auf die ich hinweisen möchte. Nach und nach werde ich zu einigen wichtigen Aussagen der Seite Stellung nehmen. Zunächst nur so viel aus dem Text:

„Die Reformation radikalisieren – provoziert von Bibel und Krise“ .Ausgangspunkt ist die umfassenden Krise des Lebens heute. Darauf und auf die Reformation samt Wirkungsgeschichte blicken wir aus der Perspektive sozialgeschichtlicher Bibellektüre, das heißt, aus der Perspektive der Befreiung zum Leben in gerechten Beziehungen. Denn nach Luther müssen alle Traditionen nach dem Maßstab der Schrift beurteilt werden. Die folgenden Publikationen enthalten 94 Thesen als gemeinsame Zuspitzung aller 5 Bände:

Bd. 1: Befreiung zur Gerechtigkeit
Hier geht es um das Herzstück der Reformation: Rechtfertigung – Gesetz – Evangelium. Zentral ist dabei die kritische Perspektive der neuen Paulusdeutung gegen die individualistische Auslegung […]

Bd. 2: Befreiung vom Mammon
Diese Fragestellung verbindet Bibel, Reformation und heutige Krise: das Geld in religiöser, politisch-ökonomischer und mentaler Perspektive.[…]

Bd. 3: Politik und Ökonomie der Befreiung
Luther übt systemische Kritik am Frühkapitalismus. Er durchschaut den religiösen Charakter des Kapitalismus auf der Basis des 1. Gebots. […] Erst in jüngster Zeit sind die Potentiale der Position Luthers für die Kritik am Neoliberalismus und für eine politische Ethik der Parteinahme und der Versöhnung wiederentdeckt worden.

Bd. 4: Befreiung von Gewalt zum Leben in Frieden
Das lateinamerikanische Buen Vivir kann als Kriterium einer neuen Kultur des Lebens gelten. Danach sind viele Fehlentwicklungen in und nach der Reformation aufzuarbeiten: […] der Durchbruch zu aktiver Gewaltfreiheit – eine „neue Reformation“ im Sinn Bonhoeffers und Sölles.

Bd. 5: Kirche – befreit zu Widerstand und Transformation
Das Kreuz ist ein Zeichen des Bösen, des Trosts für alle, die gefoltert werden und leiden, ein Zeichen der Hoffnung und der Befreiung. Jesus Christus nimmt die sozio-politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen derer auf sich, die ihrer Rechte beraubt werden. Die Kirche muss ihren Bestand aufs Spiel setzen, indem sie mit den und für die Armen lebt. […]

Von den 94 Thesen, in denen die Verfasser ihre Hauptgedanken zusammenfassen, möchte ich zunächst folgende hervorheben:

Einer trage des anderen Last und erfüllet so die Tora Christi” (Gal 6,2)
  1. Am Ursprung der Reformation liegt Luthers Wiederentdeckung von Gottes Gerechtigkeit als schöpferischer und erneuernder Macht in den Schriften des Paulus. In seiner Lehre von der Rechtfertigung fasst Luther diese Gerechtigkeit als barmherzige Zuwendung Gottes, selbst zum Gottlosen (sola gratia), und als Vertrauen auf die Treue Gottes im Glauben (sola fide) an Christus (solus Christus).

  2. Die Gerechtigkeit Gottes führt Paulus zur visionären Einsicht, dass  “in Christus” die Gegensätze und Hierarchien der „gegenwärtigen bösen Weltordnung” (Gal 1,4) außer Kraft gesetzt sind. “Wir” sind nicht das, was uns von den anderen abgrenzt, sondern mit ihnen verbindet. […]

  3. Ein außerordentlich problematischer und nicht-paulinischer Aspekt reformatorischer Rechtfertigungstheologie und ihrer späteren Auslegung im Protestantismus ist ihr Begriff des „Gesetzes“. Luther setzt „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ auf programmatische Weise der „Gerechtigkeit oder Rechtfertigung aus Glauben“ entgegen und versteht diese Antithese als unversöhnliche Antithese von Judentum und Christentum.

  4. Diese folgenschwere Polarisierung gründet in seiner Auslegung des Galaterbriefs. Zu Unrecht setzt Luther hier das von Paulus kritisierte Gesetz mit der Tora gleich. […] Wie neuere Forschung gezeigt hat, war jedoch der eigentliche Widerpart im Streit des Paulus mit seinen galatischen Gegnern nicht die jüdische Tora, sondern das Gesetz und die Ordnung  des Römischen Imperiums. […]

  5. Die Reformation setzte weiterhin Judentum mit dem Römischen Katholizismus gleich und verurteilte beide als „Gesetzesreligionen“, die Rechtfertigung durch „Gesetzeswerke“ erlangen wollen. Das polare Muster von „Werke oder Gnade und Glaube“, „Evangelium oder Gesetz“, angewandt auf konkrete Personen, hatte eine verhängnisvolle Folgegeschichte in seiner weiteren Auslegung: Es wurde nicht nur antijudaistisch und anti-römisch katholisch gelesen, sondern auch gegen “Schwärmer”, Täufer, Muslime  und andere „Häretiker“ gewendet, oft mit tödlichen Konsequenzen.

  6. […] Rechtfertigungstheologie wird gegen innerweltliche Gerechtigkeit gewendet.

  7. […] Angesichts der gegenwärtigen Weltkrise ist es ein kategorischer Imperativ, dass sich protestantische Rechtfertigungstheologie neu auf die Gerechtigkeit Gottes besinnt und zu ihrem schriftgemäßen Wurzeln zurückkehrt.

  8. Das Negativurteil über Judentum und Gesetz trug maßgeblich auch zu einer grundsätzlichen Abwertung des gesamten Alten Testaments bei. […] Die Einheit der beiden Testamente zurückzugewinnen, ist eine weitere grundlegende Aufgabe reformatorischer Theologie heute.

  9. […]

  10. Der Messias Jesus kündigt das nahe Reich Gottes, seine gerechte Welt, an (Mt 4,17). Im Horizont dieser Hoffnung legt der Messias Jesus die Tora Israels für die Gegenwart aus (Mt 5-7). […](Mk 12,28-34; Mt 25,31ff). […] (Mt 5,17-20; 28,19-20; vgl. auch Röm 3,31). Jesu Aufforderung sich an seiner Toraauslegung auszurichten, zielt darauf ab, die Tora immer wieder neu in der Hoffnung auf Gottes kommendes Reich auszulegen und mit Leben zu erfüllen.

  11. […] Imperiale Herrschaftsstrukturen verkörpern für Paulus die Macht der Sünde, die die Menschen unausweichlich in die Übertretung der leben-schöpfenden Thoragesetze treibt und sie zu Komplizen der Kräfte des Todes und der Selbst-Zerstörung macht ( Röm 7,24).

  12. […]

  13. Die Gesetzeskritik des Paulus und auch der Reformation ist nicht gegen gesellschaftliche Rechtsordnungen als solche gerichtet (usus civilis legis). Recht und Gesetz sind notwendig, um menschliche Gesellschaft zu erhalten. Die Kritik richtet sich ausschließlich gegen die Instrumentalisierung des Gesetzes im Interesse der Starken und gegen die Schwachen, wie sie bereits von den Propheten angeklagt wird. […] (Mk 2,27; Babylonischer Talmud, Traktat Eruvin 41b) […]

  14. Ein besonderes Problem stellt in diesem Zusammenhang Luthers Identifikation der Zehn Gebote (Dekalog) mit dem Naturrecht dar (Mose als „der Juden Sachsenspiegel“). […]

  15. Vor allem aber lässt Luther in seinem Kleinen Katechismus die politisch konkrete Einleitung des Dekalogs fallen: „Ich bin Adonaj, deine Gottheit, weil ich dich aus Ägypten, dem Haus der Sklavenarbeit, befreit habe.” (Ex 20,2; Deut 5,6) Luther weitet ferner das Gebot des Elterngehorsams auf Autoritätsgehorsam als solchen aus. Diese beiden symptomatischen Veränderungen der Schriftgrundlage in Luthers einflussreichstem Katechismus zeigen bereits an, wie das Luthertum anfällig werden konnte für Untertanengehorsam und Anpassung gegenüber jedweder etablierten Rechts- oder Unrechtsordnung, statt dem Gott der Befreiung zu vertrauen (sola fide) und für die Entrechteten einzutreten .

  16. Wenn die herrschende Ordnung keine Gerechtigkeit übt und sich gegenüber den Nöten der einfachen Menschen, besonders der Geringsten (Mt, 25,34-40), gleichgültig verhält und auf diese Weise Götzendienst übt und seinen Bürgerinnen und Bürgern eine unannehmbare Lebensweise aufzwingt, dann sollen Christenmenschen einer solchen üblen Regierung nicht nur den Gehorsam verweigern, sondern aktiv Widerstand leisten.

  17. […]Zum Beispiel gehören biblisch gesehen Schuldenerlass und göttliche Schuldvergebung untrennbar zusammen (Mt 6,12). Heutige Christinnen und Christen sollen die Möglichkeit bekommen, gerade das Alte Testament, die Hebräische Bibel, als einen reichhaltigen Schatz für ihre Lebensgestaltung und für ethische Urteilsbildung kennenzulernen.

  18. Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu haben den Wunsch, sich in Gottes Geheimnisse in Gemeinschaft mit den heiligen Texten, die auch in anderen Religionen offenbart sind, zu vertiefen. Diese Freude erfahren sie, wenn sie in gemeinsamer Anstrengung zusammen mit Juden, Muslimen, Buddhisten, Hindus und allen anderen Kulturen in Afrika, Nord- und Lateinamerika, der Karibik, Asiens, des Mittleren Ostens, des Pazifiks und Europas (Jes 49,6) sich für den Aufbau einer besseren Welt einsetzen und dabei den Dialog stärken. Das Evangelium widerspricht jeglicher kulturellen, religiösen und militärischen Invasion.

  19. […] dass interreligiöser Dialog ein prophetischer Dialog sein muss. […]

Der Geist weht, wo er will“ (Joh 3,8)
  1. Im Geist der aus der Reformation hervorgegangenen Kirche müssen wir heute auf den Schrei von Menschen rund um den Erdball hören, die wahrnehmen, dass die Kirchen ihre Leiden, Unterdrückung und kulturelle Situation übersehen und ausklammern (Mt 25,31ff.) und dadurch die Spaltungen in Kirche und Gesellschaft eher vertiefen statt zu heilen.

Das Ehepaar Schneider und die EKiD oder was wichtig ist

20. Juli 2014

Dankenswerterweise ist dies Interview mit dem Ratsvorsitzenden der EKiD und seiner krebskranken Frau schon heute im Internet zu lesen:
 „Wir halten die Wahrheit aus“ Anne und Nikolaus Schneider über die Diagnose Krebs, den Rücktritt vom Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche – und das, was am Ende zählt, ein Interview von EVELYN FINGER

In der ZEIT vom 17.7.14 steht nicht nur dies, sondern auch ein Interview mit Papst Franziskus. (Außerdem auch ein kritischer Artikel zu Amazon, in dem Schriftsteller sich kritisch zu Amazon äußern.)

Es ist eine gute Zeit, wenn Kirchenleute so problembewusst sind. Auch wenn man die Probleme gern nicht wahrnehmen würde.

 

 

Andreas Englisch: Franziskus. Zeichen der Hoffnung

6. Juni 2014

Man ahnt, dass der Informant sich wichtig machen will. Und wird trotzdem das Gefühl nicht los, dass er weiß, wovon er spricht.

So schreibt Lucas Wiegelmann unter dem Titel „Die Engel und die dunklen Lords des Vatikan“ in der Welt vom 23.4.14 über das Buch. Er weiß, wovon er spricht, aber er dramatisiert gewaltig und nimmt es mit der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit nicht so genau. Das Buch besteht aus einer Reihe von Reportagen, denen man anmerkt, dass sie fern vom Geschehen geschrieben sind, und einer Menge emphatischem Lob für Franziskus wie für Johannes Paul II. und nicht nur für die. Kelvin Felix, der vom Priester zum Erzbischof, dann altershalber wieder zum Priester wurde und dann am 22.2.14 von Papst Franziskus zum Kardinal gemacht wurde, ist für ihn ein Heiliger, weil er bedingungslos und von ganzem Herzen für die Armen eintritt, genauso wie Johannes Paul II. der an einem Schutzbefohlenen von Felix eine Wunderheilung vollbracht habe (S.414/15). Hätte ich mich über Kelvin Felix informiert? Interessierten mich die Wunder, die Johannes Paul II.  amtlich beglaubigt vollbracht hat? Nein. Aber weil mich Papst Franziskus interessiert, erfahre ich darüber, auch über das Hitzekonklave von 1978, wo 110 Kardinäle in den Vatikanischen Museen in notdürftig mit Tüchern verhängten Bettstellen, nur mit Nachttöpfen und Waschschüsseln versehen, hausten, die älteren von ihnen immer kurz vor dem Kollaps. Auch von Emmanuel Milingo, den charismatischen, damals jüngsten Bischof Afrikas hätte ich nichts erfahren, der mit 71 Jahren Unterstützer der Vereinigungskirche wurde und die koreanische Ärztin Maria Sung heiratete. Das Buch liest sich gut. Man darf sich nur nicht zu genau merken, was darin steht. Das, was man erinnert, wird dann ungenau genug sein, dass es der Realität nicht widerspricht. Überzeugend wirkt Englisch nicht, aber durchweg interessant. Wer läse schon gern 428 Seiten Lexikoneintrag?

Papst Franziskus

1. Juni 2014

Es lohnt sich, die Fassungen des Wikipediaartikels über Jorge Mario Bergoglio, den heutigen Papst Franziskus, vom 9.3.2013 und den aktuellen Artikel miteinander zu vergleichen. Die Fassung vom 9.3.13 ist bestimmt von Mitteilungen über seine Karriere als Mitglied des Jesuitenordens und Bischofs. Eine nicht unwichtige Rolle spielen naturgemäß Bemerkungen zu seinem Verhältnis zur argentinischen Militärdiktatur. So heißt es da:

Bergoglio wurde verschiedentlich eine zu große Nähe zur Militärdiktatur 1976–1983 vorgeworfen, die ca. 30.000 als „subversiv“ eingestufte Personen entführen und ermorden ließ. Der Menschenrechtsanwalt Marcelo Perrilli warf dem in Argentinien als „Kardinal der Armen“ verehrten Bergoglio 2005 vor, in dasVerschwindenlassen der Jesuiten Franz Jalics und Orlando Yorio im Jahr 1976 verwickelt gewesen zu sein. Perrilli erstattete deshalb Anzeige gegen Bergoglio bei einem Gericht in Buenos Aires. Ein Sprecher des Kardinals bezeichnete die Anzeige als Verleumdung.[2] Nachdem sie wieder freigekommen waren, sagten Jalics und Yorio gegenüber dem Ordensgeneral Pedro Arrupe in Rom aus, sie seien von Bergoglio denunziert worden. Noch während die beiden Priester verschwunden waren, hatte Bergoglio Arrupe brieflich mitgeteilt, Jalics und Yorio seien aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen worden.[3]

Während der Militärdiktatur kam es zu weiteren Entführungen und Misshandlungen von Seminaristen, Mitarbeitern des Colegio Máximo San José und politischen Aktivisten in San Miguel, einige davon unter Beteiligung des Jesuitenpaters Martín González. Betroffene und Zeitzeugen sind der Ansicht, dies hätte nicht ohne das Wissen Bergoglios geschehen können, der während seiner Amtszeit als Ordensprovinzial seinen Sitz im Colegio Máximo hatte.[4]

2010 erklärte der ehemalige Jesuit Miguel Ignacio Mom Debussy, der Bergoglio als Chauffeur gedient hatte, dieser habe sich während der Diktatur mehrfach mit dem Juntamitglied Emilio Masseragetroffen. Bergoglio habe gesagt, es sei ihm bei den Treffen darum gegangen, den Jesuitenorden und seine Novizen zu schützen. Bergoglio habe „nicht ablehnend“ über Masseras politische Pläne gesprochen.[4] 

(http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Franziskus_(Papst)&oldid=115184270)

Die aktuelle Fassung enthält dazu u.a.:

Die Argentinische Militärdiktatur (1976–1983) ließ im „Schmutzigen Krieg“ bis zu 30.000 mutmaßlich oppositionelle Argentinier von Todesschwadronen entführen, foltern und ermorden und raubte Müttern unter den Opfern bis zu 500 in der Haft geborene Kinder. Bergoglio war als damaliger Leiter des Jesuitenordens nicht für kirchliche Stellungnahmen zuständig, aber zum Schutz der Ordensmitglieder verpflichtet. Sein Verhalten wird bis heute diskutiert.[16] […]

1974 erlaubte Bergoglio den Jesuitenpriestern Franz Jalics und Orlando Yorio, einem Mitglied der „Bewegung der Priester für die Dritte Welt[17], im größten Elendsviertel von Buenos Aires Boja Flores zu arbeiten.[18] Nationalkonservative Ordensbrüder lehnten diese Arbeit ab.[19] Im Februar 1976 forderte der Generalobere der Jesuiten Pedro Arrupe die beiden Priester auf, ihre Arbeit im Slum zu beenden. Daraufhin beantragten sie nach Rücksprache mit Bergoglio erfolglos ihre Versetzung in ein anderes Bistum.[20]

Am 23. Mai 1976 entführten Marinesoldaten Yorio und Jalics neben weiteren Jesuiten in die Escuela de Mecánica de la Armada (ESMA)[21], die Admiral Massera in ein Folter-Zentrum hatte umwandeln lassen.[22] Dort wurden sie fünf Tage lang verhört und gefoltert, weil sie als Mitglieder oder Kontaktpersonen der Montoneros betrachtet wurden. Danach wurden sie fünf Monate lang angekettet mit verbundenen Augen gefangen gehalten. Im Oktober 1976 kamen sie frei.[23] Danach verließen sie Argentinien und versuchten, die Ursachen ihrer Folterhaft herauszufinden.

Seit November 1977 warfen sie Bergoglio vor, er habe ihre Haft verschuldet, indem er ihnen den Schutz der Kirche entzogen oder sie sogar selbst beim Militär angezeigt habe. Er habe Yorio am 20. Mai 1976 aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen, dies ihnen aber damals nicht mitgeteilt; erst im Juni 1977 hätten sie dies vom Vizegeneraloberen der Jesuiten, Pater Moura, erfahren.[24] Ferner habe er ihr Leben gefährdende Gerüchte im Jesuitenorden, sie gehörten zur Guerilla,[9] nicht unterbunden und dem Militär dann ihre Unschuld nicht bezeugt, obwohl er dies Jalics im Dezember 1975 versprochen habe. […]

1978 legten Jalics und Yorio Arrupe Dokumente vor, die beweisen sollten, dass Bergoglio sie 1976 beim Militär als Terroristen denunziert habe. 1994 schrieb Jalics, er habe diese Dokumente 1980 verbrannt, weil er keine Aufklärung im Jesuitenorden erreicht habe und das Vergangene verzeihen wollte. Vier Jahre später habe er sich in Rom mit dem Generaloberen ausgesprochen und dann das Vorgefallene endgültig verziehen. Verantwortlich für die Verleumdungen sei ein ihm bekannter „Mann“ gewesen.[27] Nach Angaben seiner Familie meinte er Bergoglio, den er privat mehrfach beschuldigt habe.[28]

(Seite „Franziskus (Papst)“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 30. Mai 2014, 22:04 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Franziskus_(Papst)&oldid=130891674 (Abgerufen: 1. Juni 2014, 05:19 UTC))

Man merkt, dass Bergoglio inzwischen bekannter geworden und die Wikipediaautoren mehr recherchiert und veröffentlicht haben.

Doch welche Fülle von Mitteilungen sind über die Zeit nach seiner Wahl hinzugekommen! Das neue Amt hat eine Fülle zusätzlicher Wirkungsmöglichkeiten eröffnet.

Als Leser von Hans Küngs Autobiographie frage ich mich, wie er wohl nach dem Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis über die Frage nachgedacht hat, ob er nicht doch eine Kirchenkarriere hätte einschlagen sollen, und was er wohl – nach seiner gewaltigen Leistung der Beförderung eines Weltethos – jetzt im Blick auf die Aufgaben und Leistungen von Papst Franziskus darüber denkt.