Archive for the ‘Religion’ Category

Psychologische Aspekte paulinischer Theologie

11. Mai 2022

Gerd TheißenPsychologische Aspekte paulinischer Theologie, 1. Aufl. 1983 2. Aufl. 1993

„Nicht die Außen- und Innenwelt an sich, sondern ihre Deutungen bestimmen menschliches Erleben und Verhalten. Deutungen […] sind aktive kognitive Strukturierungsprozesse, in die kulturelle Tradition eingeht.“ (S.33)
Kap 1:
„Die Aufdeckung unbewußter Motive durch die paulinische Theologie. […] Glaube an den allwissenden Gott […] Der Mensch durchschaut nicht einmal sein eigenes Wesen.“ „Anerkennung einer eigenständigen inneren Realität“ […] ermöglicht die Vorstellung einer unbewußten Region im Menschen“. (S.66) [1. Kor. 4, 1-5: Vorstellung einer unbewussten Schuld, über die freilich nicht Menschen, sondern nur Gott am Jüngsten Gericht urteilen kann. [Vgl. Röm. 2,16]
„Das Gebet ist aus der Evolution des inneren Dialogs nicht wezudenken.“ (S.113)
Kap 2:
„Die Hülle des Mose und die unbewußten Aspekte des Gesetzes“ (2. Kor. 3, 4-4,6)
Die Hülle des Kopfes der Frau schützt sie vor eigener Begierde und vor den Angriffen durch die gefallenen Engel. (S.176)
In Joseph und Aseneth wird diese vom Engel freilich aufgefordert, den Schleier vom Kopf zu entfernen (JosAs, 15,1 – vgl. auch Joseph u. Asenat)). Gegenüber Gott entfällt der Schutz des Unbewussten.
Theißens Argumentation: Paulus ist gegen die „Auflösung der Geschlechtsrollensymbole“ (S.178), verkennt allerdings den Unterschied zwischen kulturellen Symbolen (kurze Haare/lange Haare) und natürlich gegebenen (Bart beim Mann, vgl. dazu Epiktet III 1, 25-34).
Dazu 1. Kor. 11 (Verhüllung des Kopfes der Frau im jüd. Gottesdienst) und 2. Kor. 3, 14f (Aufhebung der Verhüllung aller gegenüber Gott im christl. Gottesdienst).
Mit der Forderung nach der Unterdrückung sexueller Impulse der Frau hinterlässt Paulus ein schweres Erbe. Mit dem Fortfallen der Hülle im christl. Gottesdienst aber gibt er „gegenüber den Forderungen und Inhalten des Überichs“ mehr Freiheit. (S.180)

Kap 4: „Glossolalie – Sprache des Unbewußten?“ (S.269ff)
„Glossolalie ermöglicht ein gesteigertes […] positives Selbstbild“
Paulus: „Das Leiden soll in das Selbstbild […] aufgenommen werden. […] Wodurch wird die kognitive Umstrukturierung […] bewirkt?“ Durch Christus. „In seiner Gestalt sind die negativen Aspekte der Wirklichkeit mit der positiven Erfahrung der Erlösung verbunden.“ (S.339)
Vielleicht hat Paulus recht. Vielleicht ist Glossolalie mit dem „Sündenfall“ in Verbindung zu bringen „als Erinnerung an ein unsemantisches phonetisches Spiel des Urmenschen, das noch nicht durch die Anforderungen der kulturellen Evolution eingeengt“ und in Sprachen genutzt wurde. (S.340)

Kap5: „Weisheit für Vollkommene als höheres Bewußtsein“ (S.341ff) [1. Kor. 2, 6-16)

Textanalyse 1. Kor. 18-25: Kreuzespredigt als Torheit, 1. Kor. 2, 6-16 Kreuzespredigt als Weisheit
Man kann das Verhältnis der Kreuzespredigt zur Weisheit im Sinne von Stufen oder im Sinne einer Dialektik verstehen. Für Stufen spricht die Form, für Dialektik der Inhalt. In „dieser Spannung von Form und Inhalt“ liegt „der Schlüssel zum Verständnis des Textes“ (S.343)

Schlussbemerkungen:
Paulus sieht wie die Moderne das Unbewusste als „bedrohliches Konfliktgeschehen“ und als „heilende Kraft“. Paulus öffnet sich dem Unbewussten freilich nicht total. Sexuelle Impulse will er kontrolliert sehen. Vielleicht ist das die Voraussetzung für „von sexueller Kontrolle entlastete Beziehungen […] in der Gemeinde“. (S.392)
„Herz paulinischer Theologie: Christus ermöglicht neue Verhaltens- und Erlebensweisen“ (S.393)
Der Glaube, „Religion historisch und sachlich ohne psychologische Reflexion erhellen zu können“ ist illusionär, aber mit dieser Reflexion ist längst nicht alles über Religion gesagt. [Bei Theißen nur auf das Christentum bezogen]. (S.394)

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Günter Schulte „Philosophie der Religion“

17. März 2022

Materialien für Studium (guenter-schulte.de)

Was ist Religion? Und wie kann man es wissen?

  1. Neurotheologie (Ramachandran)
  2. Biologie der Religion (Wilson)
  3. Religiöse Erfahrung (James, Rosset)
  4. Mystik (James, Nishitani)
  5. Gnosis (Sloterdijk, Fisher)
  6. Die Reise des Parmenides (Schmitz, Kingsley)
  7. Nah-Todeserfahrung und Außerkörperlichkeit (Schröter-Kunhardt)
  8. Religion und Infantilität (Freud, Sloterdijk)
  9. Moses und der Monotheismus (Freud)
  10. Das Ende der Gewalt (Girard)
  11. Die Erschaffung der Götter (Heinsohn)
  12. Die Sehnsucht nach der bikameralen Psyche (Jaynes)
  13. Primitive Religionen (Durkheim)
  14. Die Mentalität der Primitiven (Lévy-Bruhl)
  15. Aberglaube und Bekenntnis (Mannoni)
  16. Religion und Spiel (Huizinga)
  17. Religion und Totalitarismus (Messadié, Dell’Agli)Literatur

Fernsehgottesdienste in Coronazeit

25. Mai 2020

Während wir sonst nur selten Fernsehgottesdienste wahrnehmen, haben wir sie jetzt regelmäßig genutzt.

Natürlich erschrickt man etwas über die Vielzahl der Mitarbeiter der Rundfunkanstalt, die dabei beteiligt sind, aber die beteiligten Gemeinden haben aus der Not eine Tugend gemacht. Wenn es keinen Gemeindegesang gibt, dann kann der musikalische Anteil anspruchsvoller sein. In den evangelischen Gottesdiensten sieht man deutlich mehr Frauen als sonst in den Gemeinden. Musikalisch besonders begabte Familien bieten ganz Überdurchschnittliches, und es kommt ein Hauch Kirchentag in den Hausgottesdienst der Coronazeit. Ohne weiteres kann man, wenn man vorher einen Gottesdienst aufgenommen hat, Abendgottesdienst feiern, das Gesangbuch der anderen Konfession studieren, die Bibel herbeiholen.

Freilich, wenn man die Zusammenarbeit der Mitwirkenden erlebt, vermisst man umso mehr die Gemeinschaft in der eigenen Gemeinde, aber man erhält mehr Anregungen als sie eine Gemeinde bieten kann. Freilich weniger Mitwirkungsmöglichkeiten.

Hier noch die Mottos der Gottesdienste im Mai:

03.05.2020
Ingelheim evangelisch
10.05.2020
St. Johann Nepomuk, Wien (Österreich) katholisch
17.05.2020
Ingelheim evangelisch
24.05.2020
Erbach evangelisch
31.05.2020
Hospitalkirche, Bensheim katholisch

Luthers Tischreden

21. Mai 2020

Wie man der Sünde los werde.

Da einer fragte, wie man ihm doch mit den Sünden thun soll, nicht allein mit den Sünden anderer Leute, sondern vielmehr mit unsern eigenen Sünden, wie man ihrer soll los werden? sprach D. Martin: »Darauf gibt S. Paulus diese Antwort: Wir sollen getrost sein und nur nicht zweifeln, es sei ein Mann, der heiße Jesus Christus, welcher sich selber dafür gegeben hat, Gal. I. (V. 4), nämlich daß unsre Sünden durch sonst kein ander Mittel oder Weise konnten getilget werden, denn daß Gottes Sohn sich selber dafür opfere.

Mit solchen Karthaunen, Nothschlangen, Häuptstücken, Büchsen und gewaltigen Kriegsrüstungen muß das heillose Papstthum gestürmet und allerlei vermeinte Religion, Abgötterei, Werk und Verdienst zu Grunde und Boden gehen und umgekehret werden. Denn wo unsere Sünden durch unser eigene Werk, Verdienst und Genugthuung getilget könnten werden, Lieber, was wäre doch von Nöthen gewest, daß Gottes Sohn sich selber dafür gegeben hätte? Weil er sich aber dafür gegeben hat, werden freilich wir sie mit unsern Werken wohl ungetilget lassen.« […]

Was der freie Wille schaffe.

Doctor Martinus gedachte des trefflichen Mannes D. Staupitzen oft (der in ihrem Orden Provincial und eines großen Ansehens gewest, in der rechten Religion wohl berichtet), was er pflegte vom freien Willen zu sagen; nämlich sagte er: Ich hab mir oft, ja täglich vorgenommen, ich wollt frömmer werden, und derhalben so oftmals gebeichtet und zugesagt, ich wollte mein Leben bessern; aber es war gar ein weite Frömmigkeit und wollt nichts draus werden, noch von Statten gehen, obs wohl mein Ernst war; wie Petro, da er schwur, er wollte sein Leben bei Christo lassen. Ich mag Gott nimmer lügen, ich kanns doch nicht thun, sprach er, ich will eines guten Stündleins erwarten, daß mir Gott mit seiner Gnade begegene, sonst ists verloren. Denn des Menschen Wille macht entweder Vermessenheit oder Verzweifelung, denn der Mensch kann doch dem Gesetz Gottes nicht genug thun!

Und sprach ferner, »daß D. Staupitz oft hätte pflegen zu sagen, daß das Gesetz Gottes zu uns Menschen sagt: Es ist ein großer Berg, du sollt hinüber. So sagt denn das Fleisch und die Vermessenheit: Ich will hinüber. Darauf spreche das Gewissen: Du kannst nicht. So will ichs lassen, antwortet denn Desperatio. Also machet das Gesetz im Menschen entweder Vermessenheit oder Verzweifelung, und muß doch gelehrt und geprediget werden. Predigen wir das Gesetz, so machen wir die Leute verzagt; lehren wirs aber nicht, so machen wir die Leute faul und roh.«

»Ich bekenne und sage auch,« sprach Doctor Martinus, »daß du ein freien Willen habest, die Kühe zu melken, ein Haus zu bauen usw., aber nicht weiter, denn so lang du in Sicherheit und Freiheit sitzest, bist ohn Gefahr und steckest in keinen Nöthen. Da lässest du dich wohl dünken, du habest einen freien Willen, der etwas vermöge. Wenn aber die Noth vorhanden ist, daß weder zu essen, noch zu trinken, weder Vorrath, noch Geld mehr da ist, wo bleibt hie dein freier Wille? Er verlieret sich und kann nicht bestehen, wenns ans Treffen geht. Der Glaube aber allein stehet und suchet Christum.

Darum ist der Glaube viel ein ander Ding denn der freie Wille; ja der freie Wille ist Nichts und der Glaube ist Alles. Lieber, versuche es, bist du keck, und führe es hinaus mit deinem freien Willen, wenn Pestilenz, Krieg, theuere Zeit vorfallen. Zur Pestilenzzeit kannst du vor Furcht nichts beginnen, da gedenkst du: Ah, Herr Gott, wäre ich da oder da! Könntest du dich hundert Meilen Wegs davon wünschen, so fehlets am Willen nicht. In theuerer Zeit gedenkst du: Wo soll ich Essen nehmen? Das sind die großen Thaten, die unser freier Wille ausrichtet, daß er das Herz nicht tröstet, sondern machts je länger je mehr verzagt, daß es sich auch vor einem rauschenden Blatt fürchtet.

Aber dagegen ist der Glaube die Frau Domina und Kaiserin; ob er schon klein und schwach ist, so stehet er dennoch und lässet sich nicht gar zu Tod schrecken. Er hat wohl große gewaltige Stücke für sich, wie man hin und wieder in der heiligen Schrift und an den lieben Jüngern siehet. Wellen, Wind, Meer und allerlei Unglück treiben Alle mit einander zum Tode zu. Wer sollte in solcher Noth und tödtlicher Fahr nicht erschrecken und erblassen? Aber der Glaube, wie schwach er auch ist, hält er doch wie eine Mauer und leget sich wie der kleine David wider Goliath, das ist wider Sünde, Tod und alle Fährlichkeit; sonderlich aber streitet er ritterlich, wenns ein starker vollkommener Glaube ist. Ein schwacher Glaube kämpfet auch wohl, ist aber nicht so keck.«

40 Thesen zur Reform des Islam

3. November 2017

ABDEL-HAKIM OURGHI: 40 Thesen zur Reform des Islam

„Ich habe meinem Buch ein Zitat von Martin Luther vorangestellt: „Je mehr mich die Leute bedrohen, umso größer meine Zuversicht.“ Von Luther kann man als Muslim heute aber nicht nur Mut lernen, sondern auch, dass die Wertschätzung der Heiligen Schriften eben nicht bedeutet, sie möglichst eng auszulegen. Eine Interpretation des Korans heute muss die alten Texte von ihrer Leblosigkeit befreien und sie durch neue Sinngehalte bereichern. Dann kann sie zur Etablierung des Islams im Westen beitragen.“

Aus den Thesen:

1. Es ist Zeit für einen europäischen Islam.

2. Die Heilige Schrift des Islams an sich ist leblos. Erst die Interpretation macht sie lebendig.

3. Jede Muslimin und jeder Muslim hat die Freiheit, den Koran so zu interpretieren, wie sie oder er will.

4. Eine Reform des Islams braucht mutige Reformer.

5. Das Erbe des Islams muss frei erforscht werden können.

6. Die Reform des Islams ist im Koran selbst angelegt.

7. Reform des Islams bedeutet seine Anpassung an die Moderne.

8. Islamkritik ist keine pauschale Ablehnung des islamischen Glaubens.

9. Der Koran als Gotteswort ist im Laufe der Jahrhunderte zum Menschenwort geworden.

10. Wer den Koran respektiert, kann ihn nicht wortwörtlich nehmen.

11. Die Muslime müssen den Koran wieder zu einem Buch des Friedens machen.

Reformationstag – zur Bedeutung der Reformation

29. Oktober 2017

Renaissance des Nordens
Über die Bedeutung der Reformation für die Deutschen heute von Evelyn Finger

„[…] Im Februar 2017, als die beiden deutschen Kirchenchefs den Papst besuchten, gab er dem Kardinal Reinhard Marx und dem Bischof Heinrich Bedford-Strohm den Auftrag zum gemeinsamen Abendmahl: Bei euch in Deutschland ist das Problem entstanden, ihr könnt es lösen, macht mir einen Vorschlag! – Der steht noch immer aus. Denn die deutschen Kirchengremien zaudern und zögern. Die Chefs sind ihnen voraus, aber können den Rest nicht ignorieren. Wenn Bedford-Strohm am Wochenende auf Einladung von Marx nach Rom reist, zum Treffen der katholischen Bischöfe Europas, müssen beide aufpassen, dass der Reformpapst sie nicht überholt.

Franziskus hat seine nächste Reformation im Sommer schon angetestet. Nach Informationen der ZEIT sagte er lateinamerikanischen Bischöfen, als sie im Vatikan zu Gast waren: Das Wort Gottes komme stets vor den Sakramenten, das Evangelium vor der Kirche. Klingt für Protestanten harmlos, für Katholiken aber rührt es an das Sakramentsverständnis und damit an die Grundfesten ihrer Kirche. Die Hälfte der Bischöfe soll denn auch entsetzt gewesen sein, die andere Hälfte habe Hosianna gerufen. […]“ (ZEIT 44/2017, 26.10.17)

sieh auch:

Es gibt was zu feiern (ZEIT 44/2017, 26.10.17, S.54)
Zum ersten Mal schreiben die deutschen Kirchenchefs einen Brief zum Reformationstag
Von Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard Marx

„[…] Gemeinsam wollen wir in der Gesellschaft Zeugnis für den Glauben an Gott ablegen und auch so handeln. Das ist unser gemeinsamer Auftrag, der in Christus gründet! In der Flüchtlingsarbeit, im weltkirchlichen Engagement und im Einsatz gegen soziale Not arbeiten wir Hand in Hand. Wir können die Welt nicht perfekt machen, aber wir dürfen nicht aufgeben, sie verbessern zu wollen.[…]“

Wie hätte man eine Spaltung der Kirche vermeiden können? (ZEIT 44/2017)

Thema Luther und die Reformation

Die weibliche Seite Gottes

27. Oktober 2017

Auf Hebräisch ist Geist, ruach, weiblich, im Griechischen ist Geist, pneuma, sächlich. erst im Lateinischen wird der Geist als spiritus männlch, so wie er es auch im Deutschen ist.

Wenn es in Der Schöfungsgeschichte heißt, der „Geist Gottes schwebte auf dem Wasser“, hatten die Juden also die Vorstellung eines weiblichen Wesens.

mehr dazu: Die weibliche Seite Gottes Katharina Seifert, 1997

Guglielmiten 

„Guglielma wurde zu Pfingsten 1210 geboren, erschien in Mailand irgendwann zwischen 1260 und 1270 und starb dort am 24. August 1281. […]
In den Annales Colmarienses maiores des Jahres 1301 vermerkt der Colmarer Dominikanerchronist, dass im Jahr zuvor (in precedenti anno), also 1300, „eine überaus würdevolle und gleichermaßen beredte Jungfrau aus England gekommen [sei], die sich für den Heiligen Geist ausgab, der zur Erlösung der Frauen Fleisch angenommen habe. Und sie taufte die Frauen im Namen des Vaters, des Sohnes und in ihrem eigenen Namen. Nach ihrem Tod wurde sie nach Mailand gebracht und dort verbrannt: ihre Asche behauptete Bruder Johannes von Weißenburg (Iohannes de Wissenburc) vom Orden der Predigermönche gesehen zu haben.“ (Wikipedia: Guglielmiten)

Die Guglielmiten im Mittelalter. von Imogen Rhia Herrad,  SWR2 Wissen 27. Oktober 2017

Koran von jüdischen Gelehrten neu entdeckt

26. Oktober 2017

Der Koran ist aufgrund seiner inhaltsfernen Gliederung und der Durchmischung von Texten mit unterschiedlichen Aussageabsichten für Leser, die nicht den Gesamtinhalt überblicken, äußerst schwer angemessen zu verstehen. Kein Wunder, dass Christen ihn als Angriff auf ihre Tradition verstanden und lange keinen objektivierend-historisierenden Zugang zu ihm fanden. Doch jüdischen Gelehrten ist es im 19. Jh. gelungen. Dazu Angelika Neuwirth:

„Der Koran galt in Europa als Teufelswerk – bis jüdische Gelehrte ihn im 19. Jahrhundert neu entdeckten und die Islamwissenschaft erfanden. […]

Der wichtigste jener jüdischen Pioniere war Abraham Geiger aus Frankfurt am Main. Seit Jugendtagen hatte er sich auf eine Laufbahn als Rabbiner vorbereitet, dann aber ein Studium der orientalischen Philologie in Heidelberg begonnen. 1830 wechselte er nach Bonn, wo er sich auch wieder der Theologie zuwandte. Seine Pionierarbeit Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? zeichnete die Universität Bonn 1832 mit einem Preis aus. 1833 erschien sie in gedruckter Form, da war Geiger schon in Wiesbaden zum Rabbiner gewählt worden. Die Universität Marburg verlieh ihm für das Werk einen Doktortitel.

Kurz zuvor hatte Goethe mit seinem West-östlichen Divan (1819/1827) die literarische Entdeckung des Korans initiiert und mit seinem feinen Gespür für poetische Raffinesse einen unbefangenen Blick auf den Text ermöglicht. Doch es waren Forscher wie Abraham Geiger – junge Akademiker, die selbst im Kreuzfeuer der Polemik von christlicher wie jüdischer Seite standen –, die den Boden für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Islam bereiteten. […]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich aus der Arbeit der jüdischen Wissenschaftler die allgemeine Islamwissenschaft; besonders das Werk des Gelehrten Ignaz Goldziher (1850–1921) aus Österreich-Ungarn setzte Standards, die bis heute gültig sind. In seinen Muhammedanischen Studien, die 1889/90 erschienen, erforschte er die Hadithe, also die Überlieferungen dessen, was Mohammed gesagt und getan haben soll. […]

Der Koran ist denn auch, liest man ihn mit historisch-kritischem Blick, ganz und gar das Dokument einer religiösen Debatte, die um die biblische Tradition kreist und sie erneuern will. Er ist gerade nicht, wie die antiislamische Polemik es will, eine missverstandene Reproduktion der Bibel selbst, sondern eine neue Auslegung.

Die Entstehung und Expansion des Islams im 7. und 8. Jahrhundert trägt dabei durchaus Züge einer Reformation. So wie Luther die Aneignung religiösen Wissens zur Sache jedes einzelnen Gläubigen erklärte und damit aus der Institution der katholischen Kirche befreite, so unterstellte auch der Islam die Gläubigen als Individuen einer neuen ethischen Ordnung. Mohammed ist nicht umsonst mit Luther verglichen worden: Auch er wirft die Vorherrschaft bestehender Institutionen ab, auch er grenzt das Rituelle auf minimale Zeremonien ein. Der Koran stiftet eine „kommunitäre Religion“, in welcher der Zusammenhalt der Gemeinde nicht mehr auf angeordneten Opfern, sondern auf der persönlichen Frömmigkeit des Einzelnen beruht.

Die politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Parallelen zum Reformationszeitalter sind nicht minder verblüffend: Wird die Wende in Europa nach 1517 durch die Verbreitung der Gutenbergschen Drucktechnik immens beschleunigt, so ermöglicht im Islam eine ähnlich bahnbrechende Neuerung – die Entwicklung der Papierherstellung im 8. Jahrhundert – die Verschriftlichung und Publikation von bis dahin nur mündlich tradiertem Wissen. Schrift und Buch gewinnen höchste Bedeutung; Gott selbst gilt im Islam als Schriftproduzent, der über ein himmlisches Archiv wacht. […]“

(Licht aus dem Osten von  ZEIT 44/2017 26.10.17 – Links im Text von mir hinzugefügt)

Soziales Bekenntnis der Evangelisch-methodistischen Kirche

15. Oktober 2017

Wir glauben an Gott, den Schöpfer der Welt,
und an Jesus Christus, den Erlöser alles Erschaffenen,
und an den Heiligen Geist,
durch den wir Gottes Gaben erkennen.

Wir bekennen, diese Gaben oft missbraucht zu haben
und bereuen unsere Schuld.

Wir bezeugen,
dass die natürliche Welt Gottes Schöpfungswerk ist.
Wir wollen sie schützen
und verantwortungsvoll nutzen.

Wir nehmen dankbar
die Möglichkeiten menschlicher Gemeinschaft an.

Wir setzen uns ein für das Recht jedes Einzelnen
auf sinnvolle Entfaltung in der Gesellschaft.

Wir stehen ein für das Recht
und die Pflicht aller Menschen,
zum Wohl des Einzelnen
und der Gesellschaft
beizutragen.

Wir stehen ein für die Überwindung
von Ungerechtigkeit und Not.

Wir verpflichten uns zur Mitarbeit
am weltweiten Frieden
und treten ein für Recht und Gerechtigkeit
unter den Nationen.

Wir sind bereit,
mit den Benachteiligten
unsere Lebensmöglichkeiten zu teilen.
Wir sehen darin eine Antwort auf Gottes Liebe.

Wir anerkennen Gottes Wort
als Massstab in allen menschlichen Belangen
jetzt und in der Zukunft.

Wir glauben
an den gegenwärtigen und endgültigen Sieg Gottes.
Wir nehmen seinen Auftrag an,
das Evangelium in unserer Welt zu leben.

Amen.

http://www.emk-kircheundgesellschaft.ch/de/soziales-bekenntnis/das-soziale-bekenntnis.html

Gottesdienst am 15.10.2017 in der ev-methodistischen Erlöserkirche in Karlsruhe

Manfred Walz überträgt das Gleichnis vom Hausbau an der Orgel in dramatische Klänge. Heitere Lieder zum Mitsingen spielt die Band der Gemeinde mit Timo Körner (Keyboard), Günther Mayer (E-Bass), Berthold Wolfinger (Schlagzeug) und Boglárka Mitschele (Gesang).

Nach der Sendung gibt es ein telefonisches Gesprächsangebot der evangelischen Kirche unter der Telefonnummer: 0700 – 14 14 10 10 (6 Cent/Minute. Mobilfunkkosten abweichend).

Altes und Neues Testament

11. August 2017

Notger Slenczka: Vom Alten Testament und vom Neuen. Beiträge zur Neuvermessung ihres Verhältnisses, 2017

„Im Jahr 2015 kam es zu einer Debatte um den kanonischen Rang des Alten Testaments, der ein Echo auch in der kirchlichen Öffentlichkeit und in der Tagespresse fand. Ausgangspunkt war ein provozierender Aufsatz von Notger Slenczka, in dem er die These vertrat, dass Schleiermacher, Harnack und Bultmann, die eine Herabstufung der kanonischen Bedeutung des Alten Testaments forderten, Recht behalten hätten – freilich aus anderen als den von ihnen vorgetragenen Gründen.

Die kanonische Geltung des Alten Testaments liegt darin begründet, dass die Kirche das Alte Testament als Zeugnis für Jesus Christus versteht. Ist dies eine angesichts des christlich-jüdischen Dialogs haltbare Position? Welche hermeneutischen Grundsätze leiten den Umgang der Kirchen mit dem Alten Testament? Wie ändern sie sich angesichts eines historischen Umgangs mit den Texten?“

Neben großartigen Texten (in den Psalmen, im Buch Hiob, Josephsgeschichte …) stehen im Alten Testament Texte, wo Gott zur Tötung ganzer Stämme aufruft und wo er ganz im Sinne des „Gott mit uns“ eindeutig die Seite des Volkes Israel vertritt und den Sieg im Kampf schenkt oder gar wie bei dem Gang Israels durch das Rote Meer durch sein Eingreifen das gesamte ägyptische Heer ertrinken lässt.

Das sind Texte, die – wenn das Alte Testament als kanonischer Text anerkannt ist – geeignet sind, eine Verdammung des Islam aufgrund einzelner Textstellen zu erschweren, weil man zugleich das gesamte Alte Testament verwerfen müsste. Sie fordern zum historischen und aufgeklärten Verständnis des Alten Testamentes auf. Bei manchen blutrünstigen Passagen fällt es freilich zumindest dem Laien schwer, sie als Zeugnisse des christlichen Gottes zu verstehen. Da fällt es nicht schwer, zu verstehen, weshalb auch christliche Theologen sich von diesen Texten distanziert haben.

Nach dem Versuch, die „jüdische Rasse“ durch einen Völkermord zu vernichten, ist dann wieder betont worden, dass der historische Jesus Jude und nicht Christ war, sein Gott der jüdische Gott und seine heiligen Texte das Alte Testament. Denn das Christentum ist ja nach Aussage des Neuen Testaments erst nach dem Tod Jesu entstanden, auch wenn es schon vorher seine Jüngerschaft und viele Anhänger gab.

Dass jetzt wie in einem Pendelschlag dieses Verständnis als eine zu einseitige Betonung der Kontinuität zwischen Judentum und Christentum kritisiert wird, gehört zum wissenschaftlichen Disput. Die Heftigkeit, mit der er von beiden Seiten geführt wird, zeigt, dass der Völkermord an den Juden noch nicht als historisches Ereignis verstanden wird, das sine ira et studio verstanden werden kann.

Ohne eine genauere Kenntnis der Argumentationen maße ich mir keine Bewertung an, auch wenn ich zugebe, dass vermutlich auch ich den Disput nicht ganz sine ira et studio verfolgen werde. Denn mir scheint in der gegenwärtigen politischen Situation wichtiger, das Gemeinsame der monotheistischen Religionen hervorzuheben, als das Trennende herauszustellen. Insofern scheint mir der verständnisvolle Umgang, den viele katholische Theologen anlässlich des Reformationsjubiläums mit dem Phänomen Luther pflegen, bemerkenswert. Der den Papst verteufelnde und zur Vernichtung der Bauern aufrufende Luther hat ja sehr viel mit den alttestamentlichen Texten gemeinsam, die von der gottgewollten Vernichtung der Feinde reden; freilich hat gerade dieser kämpferische und auch wohl hasserfüllte Luther mit aller Schärfe einen ausgeprägten Antijudaismus, also eine Abwertung des jüdischen Glaubens, vertreten, der von den Nationalsozialisten als Unterstützung ihres Antisemitismus gedeutet wurde.

Wie kann man sich von solchen Hassbotschaften distanzieren, ohne einen Graben zwischen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen aufzureißen? Das scheint mir auch bei diesem Disput über die Rolle des Alten Testaments für das Christentum wichtig zu sein.

Mehr dazu: Der Aufsatz von 2013: DIE KIRCHE UND DAS ALTE TESTAMENT

epd Dokumentation: Notger Slenczka zum Alten Testament (2) 28 Seiten/ 3,40 € …  Slenczka zum Alten Testament (1) 52 Seiten/ 5,10 € … Slenczka zum Alten Testament 52 Seiten / 5,10 € …