„Tolerante Leute denken: Ich habe zwar recht, aber ich toleriere deine Meinung.“
Was für manchen ein „Geschmäckle“ hat, ist gerade der Wert der Toleranz.
Voltaire wird eine Aussage zugeschrieben, die dem Sinne nach lautet: Ich halte Ihre Ansicht für grundfalsch, aber ich würde mein Leben dafür hingeben, dass Sie sie äußern dürfen.
Toleranz ist besonders wichtig in Glaubensfragen. Ich kann felsenfest davon überzeugt sein, dass etwas richtig ist, und tolerant sein gegenüber der Wahrheit des anderen.
Rosa Luxemburg hat formuliert: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“ * Eine andere Formulierung dafür (aber weniger präzis) ist: Freiheit ist immer eingeschränkt durch die Freiheit des anderen, sonst ist sie Willkür.
Natürlich bin ich als Person unzufrieden, wenn ich nur toleriert werde und nicht akzeptiert. Aber die wichtigere Leistung ist die Toleranz.
Zu akzeptieren, womit ich einverstanden bin, ist keine Leistung.**
Und jetzt kommt der andere Aspekt von tolerieren. Man darf in einer Gesellschaft nur tolerieren, was die Gesellschaft nicht zerstört: Tolerieren soll man andere Religionen, andere sexuelle Orientierung, andere sexuelle Identität. Nicht tolerieren darf man den Aufruf zu Völkermord und Selbstmordattentäter, mögen die Betreffenden noch so sehr von der Richtigkeit ihrer Auffassung überzeugt sein und sich als Märtyrer fühlen.
Wenn man eine Auffassung toleriert, dann kann man einen Menschen, der sie vertritt, akzeptieren. Wenn ich akzeptiere, was ich für falsch halte, dann stehe ich für gar nichts mehr ein. Das ist die Haltung, mit der man auf die Frage „Ist es richtig, Tiere zu quälen“ antworten kann: „Das muss jeder für sich entscheiden.“
Ich kann mein Kind lieben (nicht nur akzeptieren) und dennoch darf ich manches Verhalten bei ihm nicht tolerieren. Das heißt nicht, dass ich es, nachdem es etwas Schlimmes getan hat, verstoßen sollte. Ich werde zu ihm als Person stehen, auch wenn ich alles dafür tun werde, dass es einsieht, dass ein bestimmtes Verhalten falsch war.
*Toleranz ist untypisch für junge Religionen und meist erst das Ergebnis von Aufklärung.
**Wohl aber ist es eine Lernleistung, einzusehen, dass etwas, was ich bisher für grundfalsch gehalten habe, als richtig zu akzeptieren.