Posts Tagged ‘Freiheit’

Jede Freiheit ist begrenzt durch die Freiheit der anderen

5. Dezember 2020

Zu diesem Gedanken gibt es viele Formulierungen, bei denen man sich freilich oft auf Autoren beruft, die ihn nicht so formuliert haben, wie man ihn zitiert. Z.B. Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden“ (Deren genaue Formulierung ist freilich: „Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden.“ Link zur Quellenangabe mit Angabe des Kontexts)

Schon vor 9 Jahren hat Albrecht bei gutefrage.net in seiner souveränen Weise dazu genau recherchiert:

https://www.gutefrage.net/frage/von-wem-stammt-das-zitat–meine-freiheit-endet-dort-wo-die-freiheit-des-anderen-beginnt

„Der Gedanke ist sehr alt. Wer ihn zuerst hatte, ist wohl kaum sicher zu belegen. Zu einer genauen Formulierung wie „Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt“ oder „Die Freiheit des einen hört da auf, wo das Recht des anderen beginnt“ scheint ein Urheber unbekannt zu sein.

Der Gedanke kommt in einem Naturrechtsdenken mit Freiheit als wichtigem Grundbegriff in Recht und Politik vor. Im Zeitalter der Aufklärung ist er in Rechtstexten formuliert worden.

Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des droits de l’homme et du citoyen) vom 26. August 1789, Artikel 4:
„La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui : ainsi l’exercice des droits naturels de chaque homme n’a de bornes que celles qui assurent aux autres Membres de la Société, la jouissance de ces mêmes droits. Ces bornes ne peuvent être déterminées que par la Loi.“

„Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden.“

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794, Einleitung II. Allgemeine Grundsätze des Rechts. §. 83. „Die allgemeinen Rechte des Menschen gründen sich auf die natürliche Freyheit, sein eignes Wohl, ohne Kränkung der Rechte eines Andern, suchen und befördern zu können.“

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797). Erster Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Einleitung in die Rechtslehre. § B. Was ist Recht?
„Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797). Erster Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Einleitung in die Rechtslehre. § C. Allgemeines Prinzip des Rechts
„»Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc.«

Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand, mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so tut der mir Unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hindernis (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen.“

„Das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich tut. Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich, ganz um dieser Verbindlichkeit willen, meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle, sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch tätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist.“

Möglicherweise ist bei der Formulierung ein Ausspruch in eine allgemeine Formulierung umgewandelt worden, der Oliver Wendell Holmes (1841 – 1937) zugeschrieben wird:
„The right to swing my fist ends where the other man’s nose begins.“

„Das Recht, meine Faust zu schwingen, endet, wo die Nase des anderen Mannes beginnt.“

Ein Nachforschen in Zitatlexika (zum Stichwort/Thema „Freiheit“) ist eine Möglichkeit, um Äußerungen zu entdecken und eventuell Angaben zu ihren Urhebern zu finden.

Das grosse Handbuch der Zitate von A bis Z : 25000 treffende Aussprüche und Sprichwörter von der Antike bis in die Gegenwart. Gesammelt und herausgegeben von Hans-Horst Skupy. Sonderausgabe. München : Bassermann, 2004, S. 262
„Die Freiheit besteht darin, dass man alles tun kann, was einem anderen nicht schadet.“ Matthias Claudius

S. 264:
„Die Freiheit hat als ihre logische Grenze die Freiheit der anderen.“ Alphonse Karr Französisch heißt dies anscheinend: „La liberté de chacun a pour limite logique la liberté de tous les autres.“ „

Werbung

Wie unterscheiden sich Toleranz und Akzeptanz?

24. Februar 2018

„Tolerante Leute denken: Ich habe zwar recht, aber ich toleriere deine Meinung.“

Was für manchen ein „Geschmäckle“ hat, ist gerade der Wert der Toleranz.

Voltaire wird eine Aussage zugeschrieben, die dem Sinne nach lautet: Ich halte Ihre Ansicht für grundfalsch, aber ich würde mein Leben dafür hingeben, dass Sie sie äußern dürfen.

Toleranz ist besonders wichtig in Glaubensfragen. Ich kann felsenfest davon überzeugt sein, dass etwas richtig ist, und tolerant sein gegenüber der Wahrheit des anderen.

Rosa Luxemburg hat formuliert: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“ * Eine andere Formulierung dafür (aber weniger präzis) ist: Freiheit ist immer eingeschränkt durch die Freiheit des anderen, sonst ist sie Willkür.

Natürlich bin ich als Person unzufrieden, wenn ich nur toleriert werde und nicht akzeptiert. Aber die wichtigere Leistung ist die Toleranz.

Zu akzeptieren, womit ich einverstanden bin, ist keine Leistung.**

Und jetzt kommt der andere Aspekt von tolerieren. Man darf in einer Gesellschaft nur tolerieren, was die Gesellschaft nicht zerstört: Tolerieren soll man andere Religionen, andere sexuelle Orientierung, andere sexuelle Identität. Nicht tolerieren darf man den Aufruf zu Völkermord und Selbstmordattentäter, mögen die Betreffenden noch so sehr von der Richtigkeit ihrer Auffassung überzeugt sein und sich als Märtyrer fühlen.

Wenn man eine Auffassung toleriert, dann kann man einen Menschen, der sie vertritt, akzeptieren. Wenn ich akzeptiere, was ich für falsch halte, dann stehe ich für gar nichts mehr ein. Das ist die Haltung, mit der man auf die Frage „Ist es richtig, Tiere zu quälen“ antworten kann: „Das muss jeder für sich entscheiden.“

Ich kann mein Kind lieben (nicht nur akzeptieren) und dennoch darf ich manches Verhalten bei ihm nicht tolerieren. Das heißt nicht, dass ich es, nachdem es etwas Schlimmes getan hat, verstoßen sollte. Ich werde zu ihm als Person stehen, auch wenn ich alles dafür tun werde, dass es einsieht, dass ein bestimmtes Verhalten falsch war.

*Toleranz ist untypisch für junge Religionen und meist erst das Ergebnis von Aufklärung.

**Wohl aber ist es eine Lernleistung, einzusehen, dass etwas, was ich bisher für grundfalsch gehalten habe, als richtig zu akzeptieren.

mehr dazu

Sind göttliche Allmacht und menschliche Freiheit vereinbar?

24. Juni 2016

Wegen der logischen und ethischen Paradoxa, die sich aus einer Verbindung von göttlicher Allwissenheit und menschlicher Freiheit ergeben, bleibt für ein modernes Gottesbild nur die Vorstellung, dass Widersprüche zu menschlicher Logik kein Hinderungsgrund für Wahrheit sein müssen.
Diese Vorstellung des verborgenen Gottes (https://de.wikipedia.org/wiki/Deus_absconditus), gibt es in der Theologie spätestens seit Luther.
Aber auch die Wissenschaften sehen den Satz vom ausgeschlossenen Dritten schon längst als überholt an. So z.B. bei den imaginären und komplexen Zahlen (vergleichsweise trivial), noch grundsätzlicher bei Schrödingers Katze und bei der Quantentheorie allgemein. Danach gibt es nicht nur das – scheinbar – ausgeschlossene Dritte, sondern es gibt überhaupt keine gültige Wahrheit, weil die jeweilige Wahrheit durch das Experiment erzeugt wird.
Die menschliche Freiheit ist sozusagen nicht größer als die, die nach der Quantentheorie jedem einzelnen Quantum zukommt. Das von dir angesprochene Paradoxon also trivial.
Die christliche Theologie hat das Problem aber ebenfalls schon längst durch die Vorstellung „höher als alle menschliche Vernunft“, „bei Gott ist kein Ding unmöglich“ und „credo quia absurdum est“ usw. aufgelöst.
Die ersten Formulierungen in dieser Richtung finden sich schon bei Paulus (

Freiheit bei Sartre

24. August 2015
Die Lage des Menschen ist durch absolute Freiheit gekennzeichnet: „Ich bin dazu verdammt, frei zu sein“ oder: „Der Mensch ist der Statthalter des Nichts“ (Heidegger). Dieser Grund-Situation hat sich der Mensch zu stellen. Alles andere wäre eine Selbsttäuschung. „Es gibt keine Natur des Menschen, die den Menschen festlegt, sondern der Mensch ist das, wozu er sich macht.“
Daraus folgen einige Feststellungen: „Der Mensch ist voll und ganz verantwortlich“, zunächst für seine Individualität: Mit seinem Tun „zeichnet er sein Gesicht“. Gleichzeitig aber auch für die ganze Menschheit, denn mit seinen Entscheidungen zeigt er auch, was der Mensch sein kann. Insofern ist er immer auch ein Gesetzgeber.
„Der Mensch ist Angst.“
„Der Mensch ist Verlassenheit.“
„Der Mensch ist Verzweiflung.“
„Es gibt Wirklichkeit nur in der Tat“: Der Mensch entdeckt sich in seinem Entwurf, er überschreitet sich, indem er sich auf etwas entwirft. Die Liebe existiert für Sartre nur als verwirklichte Beziehung, das Genie nur als verwirklichtes Genie.
https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Paul_Sartre#Aspekte_des_Existenzialismus

Realitätssinn

17. April 2009

Ich habe an diesem Tag ein für alle Mal gelernt, dass Verhältnisse von Menschen gemacht sind, dass man sie nie für unveränderbar halten sollte.

Das schreibt Andreas Dresen über sein Erleben des Mauerfalls vom 9.11.1989. (ZEIT vom 16.4.09, S.42)
Verfechter eines ungeregelten Weltfinanzmarktes haben uns jahrelang einzureden versucht, dass das nicht richtig sei, obwohl sie ja wussten, dass der ungeregelte Finanzmarkt Schritt für Schritt politisch hatte durchgesetzt werden müssen (bis zu Basel II).
Vor allem aber haben sie darauf vertraut, dass Bürger und Politiker der westlichen Demokratien sich nicht wehren würden, weil sie angesichts der Managerherrschaft eins nicht gelernt hatten, was Dresen auch am 9.11.89 lernte:

Und dass es sich immer lohnt, die Stimme zu erheben. Das galt damals, und das gilt heute.

Einige wenige wussten das schon vor dem 9.11.89, im Westen wie im Osten.
Die Finanzkrise und die kommende Rezession führen hoffentlich dazu, dass noch mehr Bürger es lernen und dass sie ihre Stimme auch für die notwendigen Maßnahmen gegen Klimawandel und für nachhaltige Ressourcennutzung einsetzen werden.

Bloggen ist gefährlich

10. Februar 2009

Das hat gerade wieder ein deutsch-ägyptischer Blogger erfahren.

Um seine Solidarität zu beweisen, kann man eine Petition unterschreiben. Vor allem aber sollte man sich informieren und aufpassen, dass die Staatssicherheit nicht Überhand gewinnt gegenüber der Freiheit.