Zensurursula – vom Wandel meines Urteils

Die Erfahrungen mit Phishing zeigen, dass das Löschen illegaler Inhalte unabhängig vom Serverstandort im Schnitt binnen vier Stunden möglich ist. Voraussetzung dafür ist, dass
* man von der Existenz der Inhalte weiß,
* die Entdecker der Inhalten wissen, wie und an wen sie ihr Wissen kommunizieren müssen,
* es bei den Hosting-Providern eingeübte Takedown-Verfahren gibt und
* ein rechtlicher und institutioneller Rahmen gegeben ist, der den Handelnden ein effektives Tun ermöglicht.

So der Hinweis eines Spezialisten. Danach weist er darauf hin, dass es bei Kinderpornographie diesen institutionellen Rahmen nicht gebe und dass er nur dadurch entstehen könne, dass ohne staatliche und polizeiliche Mitwirkung gehandelt werde.
Ob das so ist, kann ich nicht beurteilen.
Die Überlegung, dass Verbrecher nur unter besonderen Umständen bereit sind, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, erscheint mir aber überzeugend.
Heißt das, dass Verbrechensbekämpfung im Internet nur noch durch Privatpersonen möglich ist? (In der ZEIT vom 28.5.09 wurde das Internet als weitgehend rechtsfreier Raum gesehen. )Das hieße, dass es eine Internetmafia gibt, der schnellstens das Handwerk gelegt werden muss. Notfalls durch Totalzensur des Internet.
Die Einhaltung der Menschenrechte darf nicht vom Wohlwollen von Privatpersonen abhängig sein.
Dabei bleibe ich, auch wenn die neusten Nachrichten darauf hindeuten, dass der Gesetzentwurf nicht durchdacht und völlig unzureichend vorbereitet war. (Einschub vom 15.6.09)

Dass die Menschenrechte in Staaten auch nicht in besten Händen sind, mir freilich bekannt. Amnesty international hat da eine schwere Aufgabe. Für mich ist das aber kein Grund, die Staatsgewalt statt demokratisch legitimierten Institutionen Privatleuten zu übergeben.
Wohin es führt, wenn die Staatengemeinschaft kollektiv auf die Kontrolle von Privatunternehmen verzichtet, hat mir die Finanzkrise mit den katastrophalen des daraus resultierenden staatlichen Handelns gezeigt.

Nachtrag vom 12.6.:
Die Bundesregierung scheint allerdings vor der Entscheidung für Stoppschilder vor CP-Seiten erstaunlich wenig getan zu haben. Zwar glaube ich weiterhin nicht an Verschwörung, aber auch nicht mehr an solide Arbeit.

Nachtrag vom 14.6.:
Ich warte noch etwas ab. Wenn aber die SPD-Forderungen berechtigt sind und entsprechende Maßnahmen nicht von vornherein vorgesehen waren, dann bleibt mir nur die Auswahl zwischen Verschwörungstheorie oder Dummheit bei den für die Sperrregelung verantwortlichen Gesetzesmachern. Beides möchte man ungern unterstellen …

Nachtrag vom 15.6.:
Dass jetzt der Datenschutzbeauftragte die Expertenkommission zur Bestimmung der kinderpornographischen Seiten berufen soll, seinerseits aber gar nicht darauf angesprochen worden war (Bericht von heise online), macht die Initiative der Bundesregierung ganz fragwürdig. Offenbar ist mit sehr heißer Nadel gestrickt worden in der Hoffnung, dass das Stichwort Kinderpornographie schon alle Bedenken ausräumen werde. So leid es mir tut, jetzt bleibt mir zum Verständnis des Vorgangs nur noch die oben genannte Alternative.
Nachtrag vom 20.6.
Inzwischen ist das Gesetz im Bundestag beschlossen worden. Die Opposition stimmte dagegen, Kritik kam auch vom hessischen SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel, es gab 18 Enthaltungen.
Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisierte: „Da wurde mit sehr heißer Nadel gestrickt.“ Diesem Urteil folge ich inzwischen eindeutig. Ob aber wirklich genügend Löschungen hätten durchgesetzt werden können, dass das Gesetz überflüssig geworden wäre, kann ich nicht beurteilen.
Nur scheint mir inzwischen klar, dass es nicht genügend versucht wurde.
Nachtrag vom 23.6.:
Stellvertretend für viele Kommentare des Gesetzesbeschlusses setze ich hierher den Link zur Stellungnahme auf dem Wikimedia Blog. Dort findet sich auch ein Link zum Inhalt und einer zum Wortlaut des Gesetzes sowie Links zu Stellungnahmen von Kritikern des Gesetzes.
Nachtrag vom 11.8.09
Neuerdings hat sich Angela Merkel zum Thema geäußert.

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5 Antworten to “Zensurursula – vom Wandel meines Urteils”

  1. Herr Rau Says:

    „Die Überlegung, dass Verbrecher nur unter besonderen Umständen bereit sind, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, erscheint mir aber überzeugend.“

    Aber… darum geht es doch gar nicht? Oder habe ich da etwas falsch verstanden? Zusammenarbeiten sollen die Provider und die Entdecker von kriminellen Seiten, so wie das bei gefälschten Bank-Seiten auch geschieht. Die schreiben ja auch nicht erst einen Brief an die Polizei, den die dann ans Nachbarland weiterleitet, damit die dort dem Provider mitteilen, dass auf seinem Server Illegales ist.

    Wenn man die Leute informiert, löschen die nämlich gerne: http://netzpolitik.org/2009/ak-zensur-zeigt-loeschen-statt-verstecken-es-funktioniert/

    Das Netz ist eben nicht rechtsfrei, auch ohne Zensur nicht. Es braucht Gesetze, die es Providern erlaubt, Material ihrer Kunden zu löschen (und die gibt es, ebenso wie Möglichkeiten, sich gegen fälschliche Löschungen zu wehren).

  2. apanat Says:

    @Herr Rau: Andreas Schmidt weist darauf hin, dass die Provider nicht löschen, wenn sie von der Polizei darauf angesprochen werden, sondern dass es Internetexperten sein müssen.
    Dass 60 Seiten auf Anregung von Internetexperten gelöscht worden sind (vgl. dein Link), bestätigt seine Darstellung:
    „Das ist der Vorteil von informeller, netzwerkartiger Problemlösung durch Experten, die nah am Problem sitzen und nicht an fernen grünen Tischen: Einander vertrauend, scheren Sie sich im Zweifelsfall wenig um nationale Grenzen und politische Bedenken. Nähe zur Polizei und zu Strafverfolgungsbehörden kann in der Praxis der Verbrechensbekämpfung offenbar hinderlich sein.“
    Die Anwendung des Rechtes ist offenbar im Netz hinderlich. So viel zur Frage, ob das Netz rechtsfrei ist.
    Natürlich bin ich gegen Zensur. Aber warum sind die Experten nicht zur Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung bereit?
    Dazu hätte ich mir von Andreas Schmidt eine Antwort erhofft. Statt dessen sieht er den Fehler bei der Polizei.

  3. Andreas Says:

    „…weist darauf hin, dass die Provider nicht löschen, wenn sie von der Polizei darauf angesprochen werden, sondern dass es Internetexperten sein müssen.“
    Wenn ich das getan hätte (wo soll das gewesen sein?), wäre das natürlich falsch. Natürlich löschen Provider, wenn sie von der Polizei darauf hingewiesen werden, dass sie illegale Inhalte hosten. Was ich mit Bezug auf andere Studien gesagt habe (oder zumindest wollte – das ist ja manchmal ein Unterschied), ist, dass die grenzüberschreitende Kommunikation zwischen Entdecker und Löscher nicht recht funktioniert, u.a. weil sie nicht direkt, sondern über die nationalen Polizeistellen erfolgt.

    Dass beim Anti-Phishing die Polzei häufig außen vor bleibt, heißt nicht, dass dem Recht nicht zum Durchbruch verholfen würde. Die kontaktieren Hoster löschen auch so, wenn auf ihren Servern Seiten liegen, die Teil eines Phishing-Angriffs sind.

    „Experten … nicht … bereit“: Ich denke, Bereitschaft zum Löschen illegaler harter CP-Darstellungen kann man jedem unterstellen. Wenn es dennoch nicht klappt, muss man schauen, was die Ursachen sind. Einige von ihnen habe ich angedeutet; aber das kann man in der Tat sehr viel detaillierter machen.

  4. apanat Says:

    @Andreas Danke für deinen Kommentar! Und entschuldige bitte, wenn ich dich falsch interpretiert habe.
    Auf deinem Blog wird kommentiert: „Wer sich für das Thema interessiert, braucht nicht noch mehr Text, um sich zu informieren, allenfalls die richtigen Links.“
    Wenn das richtig ist, dann wäre ich dir dankbar, wenn du die Links hierher stellen könntest.
    Besonders nett wäre es freilich, wenn du die Ursachen, weshalb das mit dem Löschen nicht klappt, noch genauer darstellen könntest. Zwar ist die CDU ganz gewiss nicht meine Partei, aber ich kann mir nicht vostellen, dass sie eine so unzureichende Maßnahme wie die Stoppschilder anstrebt, wenn sie die Löschung haben könnte.
    Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien. Die Finanzkrise, die offenbar schon zu Hunderttausenden von Toten in der Dritten Welt geführt hat, haben wir ganz ohne Verschwörung hingekriegt.

  5. apanat Says:

    Heute, am 15.6., muss ich aufgrund der inzwischen vorliegenden Nachrichten Herrn Rau und Andreas völlig recht geben.
    Der Gesetzentwurf ist offenbar so unprofessionell zustande gekommen, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte.
    An eine Verschwörung mag ich freilich weiterhin nicht glauben.

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